Frankfurt, eine schwierige Geliebte

Ich bin wieder zuhause in Frankfurt. Die Reise ist zu Ende, alle Kohle aufgebraucht. Im September geht es weiter mit der Arbeit. Bis dahin werde ich noch etwas auf Sparflamme vegetieren, resümieren an einem Ort der Konzentration, einen Marathon laufen in Island.

Jetzt wo es vorbei ist, Pit, wollte man immer so weiter machen? Nein, eigentlich nicht, na vielleicht doch, jedenfalls es hat sich verdammt gut angefühlt so ungestört zu leben.

Zuhause sein bleibt gut und etwas aufbauen ist unersetzlich. Aber Reisen gehört für mich ab jetzt für immer dazu zum Zuhause sein. Meine Gastgeber und neuen Freunde  - Uwe, Robbi, Gabi, Guido, Juli, Pen, Mako, Orie, Hao, Haije, Xianhua, Maria und Christoph - haben dafür gesorgt, dass ich mich wie zuhause gefühlt habe. Jeder Abschied viel schwer. Und ich bin sicher, wenn wir uns wiedersehen, wird es sich anfühlen als ob man sich schon ewig kennen würde. Heimat ist da, wo die besten Freunde sind.
Wer noch nicht da war, der soll nun meine Heimat etwas kennenlernen, so wie ich sie sehe. Im Folgenden also, als Abschluß der Weltreise, mein Beitrag zu Frankfurt, eine Stadt die mir oft wie eine "schwierige Geliebte" vorkommt. Jedenfalls muß man ihre verborgen Schätze kennen um sie wirklich zu lieben.

Schönheit
Du bist eigentlich nicht schön genug um die Diva herauszukehren. Ein paar hübsche Viertel gibt es noch und das mitten im Getümmel. Einige davon haben alles, sogar Größe! Und in der kleinsten Ecke ist es international …

Krass und Widersprüchlich
Mal krass dafür, mal krass dagegen. Das Bankenviertel liefert die erinnerungswürdigen Bilder der Stadt. Die Türme des Geldes stiften Reichtum und Identität. Wir wollen das so. Und genau so heftig wollen wir die Macht des Geldes beschränken.

Kaum kehre ich zurück nach Hause, schon geht es in meinem Viertel wieder richtig zur Sache. Die Polizei geht scheinbar weltweit nicht gerade zimperlich vor in diesen Tagen …


(die 3 Actionfotos dazu sind von meinem Freund, dem Fotoreporter Bernd Kammerer)

Hauptstadt der Revolte
Meine Damen und Herren, wenn sie einem Menschen begegnen der schwierig ist, zickig ist und streitbar, aber irgendwie auch genial, seien sie sich sicher, es handelt sich um einen Frankfurter. Die Stadt dieser Typen ist schon immer ein Herd des Neuen und der Revolte.

Heute ist es die Occupy-Bewegung die Schlagzeilen macht. In den 80ern war Frankfurt über Jahre die Speerspitze der Ökobewegung. Ursprünglicher Anlass für grüne Popularität war der Kampf gegen den Bau einer Flugzeugstartbahn im Frankfurter Stadtwald.

Neben Berlin war Frankfurt auch die Hochburg der wilden 1968er Studentenbewegung für mehr Freiheit und Emanzipation.
Die Professoren der berühmten "Frankfurter Schule" bauen das Theoriegebäude im Hintergrund dazu. Sie zielen auf den autoritären Charakter der Machtmenschen und entlarven diesen als Grundübel der Gesellschaft.

Wo alles anfing? Natürlich in der Paulskirche. Im Nachklang der Revolution von 1848 tagte hier das erste demokratisch gewählte gesamtdeutsche Parlament, die Nationalversammlung. Das Haus wird heute irgendwie stiefmütterlich gepflegt, es hätte zumindest eine ordentliche Ausstellung verdient.

(historische Bilder Google geklaut)

Grün und Blau
Am liebsten mag ich Dich blau, nein eigentlich grün - oder beides?

Jedenfalls ist ein Wald in der Stadt einzigartig und das immerhin zweitbeste Schwimmbad der Welt liegt im Stadtteil Bergen-Enkheim.

Apfelweinkneipe
Du bist meist etwas phantasielos was große Ideen außerhalb Deiner Türme anbelangt. Dafür holst Du Dir aller beste Provinzialität in die Stadt. In den urigen Apfelweinlokalen gibt es das leckere "Stöffche" im original Bembel-Krug, die weltberühmte "Grüne Sosse", den "Handkääs mit Musik" und weitere s e h r gesunde Gerichte. Wo es schmeckt, kommen nicht nur deine besten Freunde sondern auch die schönsten Frauen zusammen.

Goethe
Allzu oft lässt Du deine besten Leute ziehen. Einer davon war Herr J.W. von Goethe, berühmtester Sohn der Stadt und ewiger erster Dichter des Staates. Sein Kollege Kestner beschrieb den jungen Goethe so: „Er besitzt, was man Genie nennt, und eine ganz außerordentliche Einbildungskraft. Er ist in seinen Affekten heftig. Er hat eine edle Denkungsart. Er ist ein Mensch von Charakter. […] Er ist bizarre und hat in seinem Betragen, seinem Äußerlichen verschiedenes, das ihn unangenehm machen könnte. Aber bei Kindern, bei Frauenzimmern und vielen andern ist er doch wohl angeschrieben. Er tut, was ihm gefällt, ohne sich darum zu kümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhasst."  Na, dämmert es? Da haben wir ihn ja wieder, den vielleicht typischen Frankfurter Charaktertypen von eben.

Zurück blieb sein Geburtshaus. Heute ein schmales, gut beschütztes Andenken … statt erhoffter Festspiele.

(historische Bilder Google geklaut)

Henninger Turm
Schwer zu verstehen, Frankfurt, warum du das zerstören mußt was du liebst.

(historische s/w Bilder aus dem Archiv des Instituts der Stadtgeschichte Frankfurt - Google geklaut)

Architektur Museum
Frankfurt mag altes Zeug in neuem Gewandt und umgekehrt. Im archivieren und konservieren bist du gaaaaanz groß!
Frankfurt ist bekannt für sein Museumsufer. Auf beiden Seiten des Mains finden sich im Innenstadtbereich 15 Museen in erster Reihe am Mainufer oder in unmittelbarer Nähe. Mein Lieblingsmuseum ist das der Architektur, von Oswald Matthias Unger als "Haus im Haus" eingerichtet.

Tech. Verwaltungszentrum der ehemaligen Höchst AG
Zuviel geraucht? Der Architekt Peter Behrens baute dieses herrlich verrückte expressionistische Entrée des früher größten Arbeitgebers der Stadt, dem Chemieunternehmen Farbwerke Höchst.

Masdar

2 km vom Flughafen Abu Dhabi entfernt liegt Masdar City, ein aus der Wüste gestampftes Stadtbauprojekt der Vereinigten Emirate, das sich ganz auf das Thema erneuerbare Energien und ökologische Nachhaltigkeit konzentriert. Es ist eine vom Öl unabhängige, autofreie Ökostadt, die viele Initiativen, Institute und Firmen einzubinden versucht. Wenn die Stadt im Jahr 2025 fertiggestellt ist, sollen fast 50.000 Menschen dort wohnen, arbeiten, leben. Heute ist es noch ein kleiner Stadtbezirk, den man besuchen kann. Bereits im Betrieb ist die Universität ("Masdar Institute of Science and Technology"), mit ihren ersten ca. 300 Elite-Stipendiaten, die vorwiegend aus der arabischen Welt kommen. Echt verwundert war ich wie offen sogar die traditionell gekleideten jungen Studentinnen sich mit mir unterhalten haben.

Die Planung der Stadt wird von Foster + Partners ausgeführt. Ich zitiere dazu Wiki: "Die Idee der Ökostadt ist den traditionellen arabischen Siedlungen abgeschaut: Wo wenig Sonne eindringen kann, bleibt das Klima erträglich. Die eng gestellte, schattenspendende Bauweise kann vermeiden, was allen modernen Hochbauten in warmen Zonen zum Verhängnis wird: Sie müssen mit riesigem Energieaufwand heruntergekühlt werden. Außerdem glauben die Initiatoren, dass die niedrige Gassenbauweise trotz aller moderner Technik dem menschlichen Bedürfnis nach einem öffentlichen Raum mit persönlicher Kommunikation am besten entspricht. Die neuartige Architektur vieler Bereiche der Stadt, die zum Teil vom Stararchitekten Norman Foster entworfen wurde, zeichnet sich durch eine teilweise organisch geformte Ästhetik aus. Darüber hinaus soll die bewährte lokale Idee der Kühlung durch Windtürme in modernisierter Form aufleben: Einige große Gebäude werden um riesige „Modern Wind Towers“ herum gruppiert, kombiniert mit allen möglichen ökologischen Energiegewinnungstechniken."

Aufregend und witzig sind die elektrisch betriebenen, unbemannten People Mover, die auf Magnetstreifen rollen. Wie von Geisterhand gesteuert wird man von der Tiefgarage bis zum Empfang transportiert.

Der Energiebedarf wird durch Solarkraftanlagen und Windkraft gestillt. Mein Hunger durch frisches Obst aus der wunderbaren Mensa und mein Durst durch Andechser Milch vom Ökosupermarkt. Zukunft? Nix ohne uns. Ha!

Love & Peace

Liebe geht durch den Magen. Bei mir ja ganz besonders, das ist bekannt. Meine Küche in Shanghai ist die Strasse. Die kleine Essecke liegt direkt unterhalb meines Wohnkomplexes. Drei unterschiedliche Zubereitungsarten gibt es, das Gericht so um die 2 Euro.

BBQ wird in einem Schacht zubereitet, der mit Grillkohle befeuert wird. Man wählt zwischen Gemüse, Fleisch und Fisch. Fast alles wird praktisch konfektioniert und auf Holzspiesschen aufgesteckt.

Beim Nudelsuppenstand wählt man aus einem Regal alle möglichen Zutaten aus. Die Suppenfrau wirft es dann in einem Sieb in eine heisse Brühe zum kochen.


Ganz lecker schmecken die Nudelgerichte, die im Wok zubereitet werden. Grund-Gemüse (Bok Choy und Soyasprossen), gehackte Zwiebelschlotten, was Saure Gurken-artiges, etwas Speck werden in heißem Öl angebraten. Gewünschte Nudelart drauf, viele bunte unbekannte Gewürze (mit Sicherheit auch Glutamat) und viel viel Sojasauce dazu. Umrühren, fertig!

Auch das ist typisch für Shanghai. Um  1/2 8  treffen sich jeden Abend die Frauen von Shanghai an den größeren Strassenkreuzungen zum tanzen. Da kommen schnell mal 50 bis 70 zusammen, die gemeinsam grooven, Tanzschritte üben und dabei offensichtlich ganz viel Spass haben. Einige Ecken widmen sich auch dem Paartanz.

Ich weiss auch nicht, ein Viertel kann noch so scheisse sein, wenn man ein paar mal durchgegangen ist, ein bisschen mit den Leuten gelacht hat … man fängt doch an es irgendwie lieb zu haben.
Dies ist mein letzter nächtlicher Spaziergang durch Hongkou, übermorgen werde ich dies und den wunderschönen Blick aus dem 22. Stock meines Apartments auf den blinkenden Oriental Pearl Tower gegen eine sauber gestrichene Wand im Ibis Hotel von Abu Dhabi eingetauscht haben.

Um es Alberto abschliessend noch recht zu machen, habe ich das Peace Hotel besucht. Sehr nett, kann ich nur sagen und das Personal sehr freundlich. Ohne ersichtlichen Grund hat mich eine Empfangsdame herumgeführt und auf die Terrasse gebracht. im hauseigenen Museum sitze ich bequem auf einem alten Sofa und sinniere über die älteste Jazzband der Welt, die 20 Jahre lang täglich im Hotel gespielt hat. Der abschliessende Cappuccino im Café reisst ein tiefes Loch in meinen Budget-Säckel von diesem Tag.